Fünfter Rabe – Stadt, Land, Flucht

Nachdem wir eine Nacht darüber geschlafen hatten, waren wir uns im Klaren und einig darüber, dass Amsterdam nicht unsere Lieblingsstadt werden würde und bereiteten uns auf unsere Abreise vor. Während wir an der Service-Station anstanden, sprach uns unser Platznachbar an und bat um Hilfe: Er hatte einen Dachschaden und keine Leiter. Da wir auch keine lose Leiter, sehr wohl aber eine fest montierte an der Seite des Eisenschweins mit uns herumfahren, rangierten wir die Leiter samt Lastwagen neben sein Wohnmobil, so dass er bei uns hochklettern und zu sich hinüber springen konnte. Als Dankeschön schenkte er uns ein Flasche Wein.

Eine schöne Aktion zum Abschied, da wir ja ohnehin immer und überall versuchen, unsere Tauschhandelsmentalität zu leben. Unter Campern sind wir offensichtlich gar nicht so fehl am Platz. Mal schauen, ob wir die Flasche aufheben, bis ich nicht mehr stille, oder ob wir sie vielleicht schon bald gegen etwas anderes eintauschen…

Nach drei Nächten auf einem – wenn auch günstigen – kostenpflichtigen Campingplatz und zwei weiteren im etwas überteuerten Camperpark beschlossen wir, nicht nur die Stadt, sondern auch das Land zu verlassen und auf schnellstem Weg (die Autobahnen in den Niederlanden sind nämlich mautfrei) die Grenze nach Belgien zu überqueren. Dort ist das einmalige Übernachten zur Wiederherstellung der Fahrtauglichkeit auf Parkplätzen – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – offiziell gestattet.*

Unser anvisierter Platz an einem See erwies sich als unschön und so zogen wir weiter bis nach Antwerpen, nur um dort von einem zähfließenden Verkehrsfettnäpfchen in das nächste zu tappen. Zuerst folgten wir dem Navi zu einem Tunnel. Antwerpen hat kaum Brücken, um den dort so wichtigen Schiffsverkehr nicht zu beeinträchtigen. Die Schelde wird stattdessen unter- und nicht überquert. Dass der erste Tunnel, den man nur im Kriechgang durch eine Baustelle erreicht, vorübergehend nicht mit Fahrzeugen über 3,5 t durchquert werden darf, steht erst auf einem Schild direkt an der Abzweigung zur Einfahrt. Der direkte Weg zum nächsten Tunnel ist gänzlich gesperrt, und so blieb uns nichts anderes übrig, als die selbe Strecke durch die selbe Baustelle wieder zurück zur Autobahn zu kriechen, um darauf entspannt zum nächsten Tunnel zu rollen. Die war aber auch verstopft. Unfall direkt vor der Tunneleinfahrt. Knapp drei Stunden später als ursprünglich vom Navi angekündigt, erreichten wir den Parkplatz auf der anderen Seite des Flusses. Die ganze Tagesetappe hätte unter normalen Umständen selbst mit dem Magirus nur knapp drei Stunden gedauert!

Wir fanden den Stellplatz aus der App genauso vor wie beschrieben und erwartet, einige hundert Meter weiter aber einen uns noch sympathischeren Parkplatz. Dort hatten wir einen fantastischen Blick ans andere Ufer und auf die Stadt, die Deichpromenade war nicht nur schön sondern auch sehr schick und unser Spaziergang führte uns auf einen Spielplatz, der durch und durch mit Wikingerelementen gestaltet war und definitiv auf Platz eins aller Spielplätze an unserer Reiseroute steht.

An diesem Abend machten wir es uns im Truck gemütlich, um das Bundesliga-Eröffnungsspiel zu sehen und die Jungs durften bei uns auf dem „Sofa“ einschlafen. Dummerweise hatten wir Rabeneltern vergessen, die beiden vorher noch zur Toilette zu schicken. Eigentlich hatten wir auf unserer Probetour nach Dänemark gelernt darauf zu achten, denn Ansgar, der erst seit Kurzem nachts auf die Windel verzichtet, bemerkt das gewisse körperliche Bedürfnis nicht immer, wenn er sehr erschöpft ist und entsprechend tief schläft. In Vorupör mussten wir deswegen vier mal mit der Waschmaschine kämpfen!

Nun waren wir aber gerade nicht auf einem Campingplatz und hatten auch nicht vor, so schnell wieder einen anzusteuern. Die naheliegende Alternative: ein Waschsalon. Zurück auf die andere Seite der Schelde in die Innenstadt wollten wir auf keinen Fall, also beschlossen wir, uns weiter Richtung Küste zu bewegen und in der nächsten Stadt einen aufzusuchen. Und diese Stadt war Brügge. Die Innenstadt ist von einem Wall (oder Deich? oder beides?) umgeben, der von sehr schmalen Toren unterbrochen wird. Durchfahrt für uns verboten und unmöglich. Wir parkten also außerhalb und schleppten drei große blaue Taschen (ihr wisst schon, die von dem großen schwedischen Einrichtungshaus) voller schmutziger Wäsche zu Fuß gut einen Kilometer weit durch die Stadt. Zum Glück klappte alles weitere reibungsfrei, wir entdeckten ein paar wirklich bezaubernde Ecken, aßen Pommes im Land ihrer Erfindung und schleppten am Ende drei große blaue Taschen voll sauberer Wäsche wieder zu unserem rollenden Zuhause zurück…

Da wir nicht am Rand der Ringstraße schlafen wollten, und es uns nach den vergangenen Tagen und Nächten in Städten wieder ans Meer zog, fuhren wir geradewegs an die Küste. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein Gefühl das war, als wir in Ostende über die Kuppe fuhren, von der aus man dann bis aufs Meer sehen kann! Der starke Kontrast zur Enge in der Stadt verstärkte es wahrscheinlich noch – am Liebsten hätte ich getanzt vor Freude! Weiter ging es ganz nah am Strand entlang, vorbei an einem App-Platz, weil ich die Höhenbegrenzung übersehen hatte, bis wir in Nieuwpoort gegenüber des Jachthafens durch ein paar Bäume ein paar Wohnmobildächer blitzen sahen. Wir bogen ab, fuhren durch ein Wohngebiet und landeten auf dem Parkplatz eines kleinen Kleintierparks. Dort verbrachten wir die Nacht und den Großteil des heutigen Tages. Jörg ging mit den Jungs in den nahegelegenen Supermarkt, ich erledigte einige Dinge im „Haushalt“ und Alwara nutzte die Ruhe unserer Zweisamkeit, zog sich die Decke über den Kopf und schlief.

Am späten Vormittag besuchten wir den kleinen aber feinen Tierpark und testeten ausgiebig beide Spielplätze auf dem Gelände. Alles dort war total liebevoll gestaltet und sauber gepflegt. Die Gehege waren mit Staketenzäunen statt Eisengittern eingefasst, die Tiere alle gesund und wohlgenährt (ich habe ein klein wenig Erfahrung in der Tierpflege gesammelt, als ich während des Studiums als Umweltpädagogin in einem Wildpark arbeitete) und einen kleinen Gemüse- und Kräutergarten und eine Streuobstwiese gab es auch.

Zum Mittag aßen wir belegte Brötchen –  die ersten, die ich in unserem Camping-Backofen aufgebacken habe! Sind eigentlich ganz passabel geworden. In Vorupör hatte ich schon das ein oder andere Brot darin gebacken, da es nicht immer ganz einfach ist, weizenfreies zu bekommen. Das war richtig lecker, dank der genialen und super einfachen Rezepte speziell für unseren Ofen, die ich auf einem Blog gefunden hatte. Und gefüllte Paprika haben wir auch schon darin gemacht – eine großartige Erfindung und eine absolut lohnenswerte Anschaffung!

Unsere heutige Tagesetappe war die kürzeste bisher – von Nieuwpoort bis De Panne sind es gerade mal 15 km. Aber um die französische Grenze zu überqueren, war es zu spät, denn in Frankreich wollen wir uns wieder an offizielle Stellplätze halten und die sind eher rar, vor allem in Küstennähe. Die nächsten Tage werden wir also mit längeren Strecken rechnen müssen, wenn wir nicht riskieren wollen, nachts alle drei Kinder aufwecken, ihre Sitze aus dem Führerhaus nach hinten schleppen und im Schlafanzug weiter fahren zu müssen. Zumal sowohl unser linkes Abblend- als auch das linke Rücklicht vorgestern kaputt gegangen sind. Das wäre bestimmt ein gefundenes Fressen für französische Polizisten! Woher wir die passenden Glühbirnen nehmen sollen, wissen wir noch nicht, aber wir werden schon etwas finden.

In De Panne regnet es schon die ganze Zeit, was uns natürlich nicht davon abhielt, ans Meer zu gehen. Die Promenade ist gruselig hier, da stehen ein riesiger, geschmackloser, steinerner Ludwig am Ende seiner Esplanade und ringsherum Hochhäuser – mit Sicherheit mit einem traumhaften Blick auf einen noch traumhafteren Strand. Man kann eben nicht alles haben.

Den verregneten Nachmittag haben wir überwiegend im Truck verbracht, und so hatte ich die Gelegenheit, euch ausgiebig zu schreiben. 

Inzwischen ist das Sofa wieder zum Bett verlängert, die Kinder schlafen, alle Bilder des Tages sind hochgeladen und ich schreibe gerade diesen letzten Satz, als das Licht ausgeht. Die Solarbatterie ist alle. Jetzt aber schnell den Beitrag hochladen…

Eilige Grüße,
Nora

 





* Das ist selbstverständlich keine rechtsverbindliche Aussage sondern nur UNSER Wissens- und Kenntnisstand, an den wir uns halten. Wer selbst frei stehen oder wild campen oder sonst etwas ähnliches tun möchte, informiere sich bitte an anderer – geeigneter – Stelle selbst!