Achter Rabe – 24 heures

Dienstag, 4. September 2018

12:49 Uhr

Nach einem lauten Abschied voller gemischter Gefühle verlassen wir den Campingplatz „La Ferme de Lann Hoëdic“ und machen uns auf den Weg Richtung La Rochelle. Ein Stückchen südlich davon gibt es einen Stellplatz, den wir uns als erstes für die nächste Nacht ansehen möchten. Länge der geplanten Etappe: 284 km.

16:21 Uhr

Auf dem Parkplatz kurz hinter einer Maut-Stelle kontrolliert Jörg – einer Intuition folgend – den Ölstand. Der ist in Ordnung. Aber zufällig kam der Keilriemen genau in der Position zu stehen, in der eine defekte Stelle zum Vorschien kommt. Eine genauere Betrachtung ergibt, dass der gesamte Riemen in einem mehr als bedenklichen Zustand ist.

Der Keilriemen ist total porös, es fehlt sogar schon ein ganzes Stück

Das ist vor allem deshalb besorgniserregend, weil wir erstens keinen Pannenschutz für den Truck haben und im Falle eines Falles einen Abschleppdienst selbst bezahlen müssten, und zweitens von besagtem Riemen der Kompressor für die Bremse angetrieben wird. Wir können so definitiv nicht mehr weit fahren und suchen im Internet nach der nächsten LKW-Werkstatt. Die ist erst in La Rochelle und bis dorthin sind es noch ca. 60 km. Ein Spiel gegen die Zeit, denn die Werkstatt schließt um 18:00 Uhr und inzwischen ist es

16:53 Uhr

Wir fahren weiter. Während ich nach Alternativen recherchiere, hält Jörg die Augen offen. Wir verlassen die Autobahn und folgen einer Landstraße. Schon nach gut 10 Kilometern finden wir – in einem kleinen Örtchen im Nirgendwo – gleich mehrere Werkstätten und Händler für Landwirtschaftliche Maschinen und Nutzfahrzeuge und auch für andere Kraftfahrzeuge aller Art.

17:12 Uhr

Wir rollen auf den Hof einer Fendt-Vertragswerkstatt. Der Mechaniker, der gerade an einem Traktor schraubt, ist super freundlich, unterbricht seine Arbeit und sieht sich unser Problem an. Genau genommen unsere Probleme. Denn es tropft Diesel aus dem Motorraum. Das Leck ist schnell gefunden. Die Leitung vom Filter zur Pumpe hat einen Riss. Beim Riemen könnte er uns vielleicht helfen, aber wegen der Leitung sollen wir lieber nach nebenan fahren. Die reparieren auch Lastwagen.

??:?? Uhr

Der viel zu sauber gekleidete Mann von nebenan reagiert auf unser Fahrtzeug fast schon erschrocken: den fasst er nicht an, damit kennt er sich nicht aus. Nach anstrengenden „Verhandlungen“ – mein Französisch ist nicht perfekt und der Franzose ist partout nicht willens oder fähig ein bisschen langsamer zu sprechen – sieht er sich die Misere an. Holt sogar einen Schraubenschlüssel. Den falschen. Dann einen passenden. Aber die Schrauben am Filter sitzen alle fest. Zum Glück, denn eigentlich weiß er ohnehin nicht, was er da tut. Zeit hat er übrigens auch keine. Und offensichtlich auch keine Lust. Sein Kollege, der gerade in Rente gegangen ist, der hätte helfen können. Der hatte noch mit solch alten Vehikeln zu tun gehabt.
Als Jörg den Motor anwirft, um das Ausmaß des Spritverlusts abschätzen zu können, und ein kräftiger Strahl Diesel aus der Leitung schießt, stellt der gute Mann fest, dass wir es so auf keinen Fall bis nach La Rochelle schaffen werden (ach!?!) und auch, dass er – und wahrscheinlich auch niemand anderes in der näheren Umgebung – uns helfen kann. Mit dieser ernüchternden Erkenntnis lässt er uns stehen. Die ganze Aktion hat zu lange gedauert. Es ist kurz nach

18:00 Uhr

Alle Werkstätten um uns herum haben geschlossen. Wir sind völlig ratlos. Wir beschließen, es am nächsten Morgen bei John Deere zu versuchen, und falls das nichts wird, nochmal zu Fendt zu fahren. Zumindest bekommen wir noch einen Tipp, wo wir übernachten können. Wenige Meter weiter endet die Straße an einer Wendeplattform, die komplett von Bäumen umsäumt ist.

19:20 Uhr

Wir haben uns auf dem Platz hinter den Bäumen versteckt. Die Internetverbindung hier draußen lässt natürlich zu wünschen übrig. Ich bemühe mich trotzdem, wenigstens noch das Tagesgeschäft zu erledigen und mein Team zu informieren, dass ich am nächsten Morgen wohl eher nicht per Videochat am Meeting teilnehmen werde.

Im Truck habe ich gar kein Internet, unsere Stühle wollen wir auf keinen Fall draußen aufstellen, also bleibt mir nur der Kantstein

22:00 Uhr

Wir sind erledigt. Und legen uns schlafen.

   

   

Mittwoch, 5. September 2018

Ca. 6:00 Uhr

Irgendwo kräht ein Hahn. Dann kräht Alwara. Ich stelle erstaunt fest, dass ich unerwartet gut geschlafen habe. Aber jetzt bekomme ich kein Auge mehr zu…

7:46 Uhr

Der Hahn kräht immer noch. Ich bin doch noch einmal eingenickt, aber jetzt sind wir alle wach und machen uns fertig. Jörg hatte eine Idee. Eine kleine Chance, um es vielleicht doch nach La Rochelle zu schaffen. Während die Jungs frühstücken und ich mich wenigstens kurz telefonisch bei der Arbeit melde, bastelt er…

Ca. 10:00 Uhr

Trotzdem fahren wir zuerst zu John Deere gleich um die Ecke. Der Mitarbeiter am Empfang ist skeptisch und etwas ratlos, aber er versteht unsere Lage. Er zieht einen Mechaniker zu Rate. Sie haben keine passenden Ersatzteile, aber eine Idee. Wir dürfen den Truck in die Halle fahren und solange drüben getüftelt wird, treiben wir uns im Verkaufsraum herum. Es könnte schlimmeres geben! Wieder etwas optimistischer gestimmt, sammeln wir an der Kasse ein paar Splinte für unsere Markise, neue Verschlüsse für die Motorhaube, passende Schrauben dazu, Motoröl und einen Trichter für das Motoröl.

12:04 Uhr

Was am Abend zuvor noch als völlig unmöglich galt, ist nach weniger als 2 Stunden erledigt. Der Keilriemen ist gewechselt (Ersatz hatten wir dabei), und die kaputte Leitung gelötet. Wir bezahlen, packen ein, fahren los und sind erleichtert. Bei facebook poste ich endlich, dass der siebte Rabe online ist. Als ich das am Tag zuvor gerade erledigen wollte, hat Jörg den Ölstand kontrolliert… Ich kündige an, dass der achte Rabe bald folgen wird, weil es einiges zu erzählen gibt.

Bei ouestagri/ John Deere in Sainte-Gemme-la-Plaine hat man uns geholfen – DANKE dafür!

Zu früh. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Nach wenigen Kilometern fängt es an, nach Diesel zu riechen. Wir beruhigen uns mit der Erklärung, dass der Motor jetzt wahrscheinlich warm ist und der Rest verdampft. Nun ja. Die falsche Erklärung. Irgendwann können wir nicht mehr darüber hinweg sehen, dass Diesel aus dem Motorraum spritzt – oder besser gesagt nicht mehr hindurch, denn ein Großteil landet auf der Frontscheibe…

13:16 Uhr

Als wir vor dem geschlossenen Hoftor bei Iveco in Périgny stehen, läuft der Diesel bereits in Strömen. Zum Glück kommt just in diesem Moment ein Mitarbeiter. Es ist Mittagspause, aber er verschwindet kurz, um Rücksprache zu halten, und lässt uns dann auf den Hof fahren und den Truck beim Waschplatz über einer Auffangrinne abstellen. Der Chef komme dann um 14:00 Uhr. Das verstehe ich.

14:38 Uhr

Falsch verstanden. Ich dachte, der Chef kommt direkt zu uns. War wohl nicht so gemeint. Ich frage vorsichtig am Empfang nach. „Ach, ihr seid das mit dem Diesel-Leck? Einmal kurz die Fahrzeugpapiere bitte…“ Auftrag getippt, Schaden begutachtet, Foto gemacht und mit dem Kollegen einen Plan ausgeheckt. Einen Schlauch, ein paar Schellen und alles ist wieder dicht. Noch ein paar kleine Checks, wo wir schon einmal hier sind, und wir hoffen auf eine Neues, dass es dieses Mal hält…

Hier reiht sich unser Magirus ein – und fällt doch ganz schön aus der Reihe

Kurz nach 16:00 Uhr

Wir rollen bei Iveco vom Hof. Der erste mögliche Stellplatz für die Nacht ist nur 23 km entfernt, aber der gefällt uns nicht. Wir fahren weiter, beschließen, an einem Schnellrestaurant Halt zu machen (nicht das mit dem großen M), denn wir können alle etwas Deftiges für die Nerven gebrauchen. Haben heute sowieso noch nicht viel gegessen. Und keine Lust mehr, zu kochen.

Gegen 19:00 Uhr

Wir erreichen den nächsten Stellplatz. Hier ist es nett. Wir werden sofort mit wildem Winken von ein paar Dänen begrüßt. Und die mürrischen Franzosen direkt neben uns sind gar nicht mehr so zerknirscht, als sie unsere Kinder kennen lernen. Wir spazieren zum Supermarkt und zurück, verweilen noch einen Moment draußen vor unserem guten alten Eisenschwein auf der Picknickdecke und ziehen uns dann zurück. Die Kinder schlafen, wir sitzen hier und endlich gönnen wir uns etwas Erleichterung. Denn der Schlauch scheint tatsächlich zu halten.

Nach 24 aufregenden Stunden endlich ein wenig Entspannung

Drückt uns die Daumen.

Zuversichtliche Grüße,
Nora